Гессе, Герман - Гессе - Сиддхартха (На немецком языке)Проза и поэзия >> Переводная проза >> Гессе, Герман Читать целиком фЕНЙВК фЕЗЗЕ. зСДДЯВНОЯВ (кВ КЕЙЕТХЛЙ ГЖЭХЕ)
Hermann Hesse. Siddhartha
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фЕНЙВК фЕЗЗЕ. зСДДЯВНОЯВ. кВ КЕЙЕТХЛЙ ГЖЭХЕ. 1922
мЕАВОКЭУ СЗОЛАКСХ: Hermann Hesse. Siddhartha, Frankfurt am Main, 1976
OCR, Spellcheck: сИЫГ пНВКХ, http://frank.deutschesprache.ru
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ЧСЧИСЛОЕХЕ КВ ЗВУОЕ http://frank.deutschesprache.ru/
оЕХЗО МЛДФЛОЛЮСИ С ЗЮЕНСИ сИЫГ пНВКХ
SIDDHARTHA
Eine indische Dichtung
von Hermann Hesse
ERSTER TEIL
Romain Rolland dem verehrten Freunde gewidmet
DER SOHN DES BRAHMANEN
Im Schatten des Hauses, in der Sonne des Flussufers bei den Booten, im
Schatten des Salwaldes, im Schatten des Feigenbaumes wuchs Siddhartha auf,
der schXne Sohn des Brahmanen, der junge Falke, zusammen mit seinem Freunde,
dem Brahmanensohn. Sonne brXunte seine lichten Schultern am Flussufer, beim
Bade, bei den heiligen Waschungen, bei den heiligen Opfern. Schatten floss
in seine schwarzen Augen im Mangohain, bei den Knabenspielen, beim Gesang
der Mutter, bei den heiligen Opfern, bei den Lehren seines Vaters, des
Gelehrten, beim GesprXch der Weisen. Lange schon nahm Siddhartha am GesprXch
der Weisen teil, Xbte sich mit Govinda im Redekampf, Xbte sich mit Govinda
in der Kunst der Betrachtung, im Dienst der Versenkung. Schon verstand er,
lautlos das Om zu sprechen, das Wort der Worte, es lautlos in sich hinein zu
sprechen mit dem Einhauch, es lautlos aus sich heraus zu sprechen mit dem
Aushauch, mit gesammelter Seele, die Stirn umgeben vom Glanz des
klardenkenden Geistes. Schon verstand er, im Innern seines Wesens Atman zu
wissen, unzerstXrbar, eins mit dem Weltall.
Freude sprang in seines Vaters Herzen Xber den Sohn, den Gelehrigen,
den Wissensdurstigen, einen groXen Weisen und Priester sah er in ihm
heranwachsen, einen FXrsten unter den Brahmanen.
Wonne sprang in seiner Mutter Brust, wenn sie ihn sah, wenn sie ihn
schreiten, wenn sie ihn niedersitzen und aufstehen sah, Siddhartha, den
Starken, den SchXnen, den auf schlanken Beinen Schreitenden, den mit
vollkommenem Anstand sie BegrXenden.
Liebe rXhrte sich in den Herzen der jungen BrahmanentXchter, wenn
Siddhartha durch die Gassen der Stadt ging, mit der leuchtenden Stirn, mit
dem KXnigsauge, mit den schmalen HXften.
Mehr als sie alle aber liebte ihn Govinda, sein Freund, der
Brahmanensohn. Er liebte Siddharthas Auge und holde Stimme, er liebte seinen
Gang und den vollkommenen Anstand seiner Bewegungen, er liebte alles, was
Siddhartha tat und sagte, und am meisten liebte er seinen Geist, seine
hohen, feurigen Gedanken, seinen glXhenden Willen, seine hohe Berufung.
Govinda wusste: dieser wird kein gemeiner Brahmane werden, kein fauler
Opferbeamter, kein habgieriger HXndler mit ZaubersprXchen, kein eitler,
leerer Redner, kein bXser, hinterlistiger Priester, und auch kein gutes,
dummes Schaf in der Herde der Vielen. Nein, und auch er, Govinda, wollte
kein solcher werden, kein Brahmane, wie es zehntausend gibt. Er wollte
Siddhartha folgen, dem Geliebten, dem Herrlichen. Und wenn Siddhartha
einstmals ein Gott wXrde, wenn er einstmals eingehen wXrde zu den
Strahlenden, dann wollte Govinda ihm folgen, als sein Freund, als sein
Begleiter, als sein Diener, als sein SpeertrXger, sein Schatten.
So liebten den Siddhartha alle. Allen schuf er Freude, allen war er zur
Lust.
Er aber, Siddhartha, schuf sich nicht Freude, er war sich nicht zur
Lust. Wandelnd auf den rosigen Wegen des Feigengartens, sitzend im
blXulichen Schatten des Hains der Betrachtung, waschend seine Glieder im
tXglichen SXhnebad, opfernd im tiefschattigen Mangowald, von vollkommenem
Anstand der GebXrden, von allen geliebt, aller Freude, trug er doch keine
Freude im Herzen. TrXume kamen ihm und rastlose Gedanken aus dem Wasser des
Flusses geflossen, aus den Sternen der Nacht gefunkelt, aus den Strahlen der
Sonne geschmolzen, TrXume kamen ihm und Ruhelosigkeit der Seele, aus den
Opfern geraucht, aus den Versen der Rig-Veda gehaucht, aus den Lehren der
alten Brahmanen getrXufelt.
Siddhartha hatte begonnen, Unzufriedenheit in sich zu nXhren, Er hatte
begonnen zu fXhlen, dass die Liebe seines Vaters, und die Liebe seiner
Mutter, und auch die Liebe seines Freundes, Govindas, nicht immer und fXr
alle Zeit ihn beglXcken, ihn stillen, ihn sXttigen, ihm genXgen werde. Er
hatte begonnen zu ahnen, dass sein ehrwXrdiger Vater und seine anderen
Lehrer, dass die weisen Brahmanen ihm von ihrer Weisheit das meiste und
beste schon mitgeteilt, dass sie ihre FXlle schon in sein wartendes GefX
gegossen hXtten, und das GefX war nicht voll, der Geist war nicht begnXgt,
die Seele war nicht ruhig, das Herz nicht gestillt. Die Waschungen waren
gut, aber sie waren Wasser, sie wuschen nicht SXnde ab, sie heilten nicht
Geistesdurst, sie lXsten nicht Herzensangst. Vortrefflich waren die Opfer
und die Anrufung der GXtter aber war dies alles? Gaben die Opfer GlXck? Und
wie war das mit den GXttern? War es wirklich Prajapati, der die Welt
erschaffen hat? War es nicht der Atman, Er, der Einzige, der Alleine? Waren
nicht die GXtter Gestaltungen, erschaffen wie ich und du, der Zeit untertan,
vergXnglich? War es also gut, war es richtig, war es ein sinnvolles und
hXchstes Tun, den GXttern zu opfern? Wem anders war zu opfern, wem anders
war Verehrung darzubringen als Ihm, dem Einzigen, dem Atman? Und wo war
Atman zu finden, wo wohnte Er, wo schlug Sein ewiges Herz, wo anders als im
eigenen Ich, im Innersten, im UnzerstXrbaren, das ein jeder in sich trug?
Aber wo, wo war dies Ich, dies Innerste, dies Letzte? Es war nicht Fleisch
und Bein, es war nicht Denken noch Bewusstsein, so lehrten die Weisesten.
Wo, wo also war es? Dorthin zu dringen, zum Ich, zu mir, zum Atman, gab es
einen andern Weg, den zu suchen sich lohnte? Ach, und niemand zeigte diesen
Weg, niemand wusste ihn, nicht der Vater, nicht die Lehrer und Weisen, nicht
die heiligen OpfergesXnge! Alles wussten sie, die Brahmanen und ihre
heiligen BXcher, alles wussten sie, um alles hatten sie sich gekXmmert und
um mehr als alles, die Erschaffung der Welt, das Entstehen der Rede, der
Speise, des Einatmens, des Ausatmens, die Ordnungen der Sinne, die Taten der
GXtter unendlich vieles wussten sie X aber war es wertvoll, dies alles zu
wissen, wenn man das Eine und Einzige nicht wusste, das Wichtigste, das
allein Wichtige? Gewiss, viele Verse der heiligen BXcher, zumal in den
Upanishaden des Samaveda, sprachen von diesem Innersten und Letzten,
herrliche Verse. "Deine Seele ist die ganze Welt", stand da geschrieben, und
geschrieben stand, dass der Mensch im Schlafe, im Tiefschlaf, zu seinem
Innersten eingehe und im Atman wohne. Wunderbare Weisheit stand in diesen
Versen, alles Wissen der Weisesten stand hier in magischen Worten gesammelt,
rein wie von Bienen gesammelter Honig. Nein, nicht gering zu achten war das
Ungeheure an Erkenntnis, das hier von unzXhlbaren Geschlechterfolgen weiser
Brahmanen gesammelt und bewahrt lag. X Aber wo waren die Brahmanen, wo die
Priester, wo die Weisen oder BXer, denen es gelungen war, dieses tiefste
Wissen nicht bloX zu wissen, sondern zu leben? Wo war der Kundige, der das
Daheimsein im Atman aus dem Schlafe herXberzauberte ins Wachsein, in das
Leben, in Schritt und Tritt, in Wort und Tat? Viele ehrwXrdige Brahmanen
kannte Siddhartha, seinen Vater vor allen, den Reinen, den Gelehrten, den
hXchst EhrwXrdigen. Zu bewundern war sein Vater, still und edel war sein
Gehaben, rein sein Leben, weise sein Wort, feine und adlige Gedanken wohnten
in seiner Stirn X aber auch er, der so viel Wissende, lebte er denn in
Seligkeit, hatte er Frieden, war er nicht auch nur ein Suchender, ein
DXrstender? Musste er nicht immer und immer wieder an heiligen Quellen, ein
Durstender, trinken, am Opfer, an den BXchern, an der Wechselrede der
Brahmanen? Warum musste er, der Untadelige, jeden Tag SXnde abwaschen, jeden
Tag sich um Reinigung mXhen, jeden Tag von neuem? War denn nicht Atman in
ihm, floss denn nicht in seinem eigenen Herzen der Urquell? Ihn musste man
finden, den Urquell im eigenen Ich, ihn musste man zu eigen haben! Alles
andre war Suchen, war Umweg, war Verirrung.
So waren Siddharthas Gedanken, dies war sein Durst, dies sein Leiden.
Oft sprach er aus einem Chandogya-Upanishad sich die Worte vor:
"FXrwahr, der Name des Brahman ist Satyam X wahrlich, wer solches weiX, der
geht tXglich ein in die himmlische Welt." Oft schien sie nahe, die
himmlische Welt, aber niemals hatte er sie ganz erreicht, nie den letzten
Durst gelXscht. Und von allen Weisen und Weisesten, die er kannte und deren
Belehrung er genoss, von ihnen allen war keiner, der sie ganz erreicht
hatte, die himmlische Welt, der ihn ganz gelXscht hatte, den,ewigen Durst.
"Govinda," sprach Siddhartha zu seinem Freunde, "Govinda, Lieber, komm
mit mir unter den Banyanenbaum, wir wollen der Versenkung pflegen."
Sie gingen zum Banyanenbaum, sie setzten sich nieder, hier Siddhartha,
zwanzig Schritte weiter Govinda. Indem er sich niedersetzte, bereit, das Om
zu sprechen, wiederholte Siddhartha murmelnd den Vers:
Om ist Bogen, der Pfeil ist Seele,
Das Brahman ist des Pfeiles Ziel,
Das soll man unentwegt treffen.
Als die gewohnte Zeit der VersenkungsXbung hingegangen war, erhob sich
Govinda. Der Abend war gekommen, Zeit war es, die Waschung der Abendstunde
vorzunehmen. Er rief Siddharthas Namen. Siddhartha gab nicht Antwort.
Siddhartha saX versunken, seine Augen standen starr auf ein sehr fernes Ziel
gerichtet, seine Zungenspitze stand ein wenig zwischen den ZXhnen hervor, er
schien nicht zu atmen. So saX er, in Versenkung gehXllt, Om denkend, seine
Seele als Pfeil nach dem Brahman ausgesandt.
Einst waren Samanas durch Siddharthas Stadt gezogen, pilgernde Asketen,
drei dXrre, erloschene MXnner, nicht alt noch jung, mit staubigen und
blutigen Schultern, nahezu nackt von der Sonne versengt, von Einsamkeit
umgeben, fremd und feind der Welt, Fremdlinge und hagere Schakale im Reich
der Menschen. Hinter ihnen her wehte heiX ein Duft von stiller Leidenschaft,
von zerstXrendem Dienst, von mitleidloser Entselbstung.
Am Abend, nach der Stunde der Betrachtung, sprach Siddhartha zu
Govinda: "Morgen in der FrXhe, mein Freund, wird Siddhartha zu den Samanas
gehen. Er wird ein Samana werden."
Govinda erbleichte, da er die Worte hXrte und im unbewegten Gesicht
seines Freundes den Entschluss las, unablenkbar wie der vom Bogen
losgeschnellte Pfeil. Alsbald und beim ersten Blick erkannte Govinda: Nun
beginnt es, nun geht Siddhartha seinen Weg, nun beginnt sein Schicksal zu
sprossen, und mit seinem das meine. Und er wurde bleich wie eine trockene
Bananenschale.
"O Siddhartha," rief er, "wird das dein Vater dir erlauben?"
Siddhartha blickte herXber wie ein Erwachender. Pfeilschnell las er in
Govindas, Seele, las die Angst, las die Ergebung.
"O Govinda," sprach er leise, "wir wollen nicht Worte verschwenden.
Morgen mit Tagesanbruch werde ich das Leben der Samanas beginnen. Rede nicht
mehr davon."
Siddhartha trat in die Kammer, wo sein Vater auf einer Matte aus Bast
saX, und trat hinter seinen Vater und blieb da stehen, bis sein Vater
fXhlte, dass einer hinter ihm stehe. Sprach der Brahmane: "Bist du es,
Siddhartha? So sage, was zu sagen du gekommen bist."
Sprach Siddhartha: "Mit deiner Erlaubnis, mein Vater. Ich bin gekommen,
dir zu sagen, dass mich verlangt, morgen dein Haus zu verlassen und zu den
Asketen zu gehen. Ein Samana zu werden ist mein Verlangen. MXge mein Vater
dem nicht entgegen sein."
Der Brahmane schwieg, und schwieg so lange, dass im kleinen Fenster die
Sterne wanderten und ihre Figur verXnderten, ehe das Schweigen in der Kammer
ein Ende fand. Stumm und regungslos stand mit gekreuzten Armen der Sohn,
stumm und regungslos saX auf der Matte der Vater, und die Sterne zogen am
Himmel. Da sprach der Vater: "Nicht ziemt es dem Brahmanen, heftige und
zornige Worte zu reden. Aber Unwille bewegt mein Herz. Nicht mXchte ich
diese Bitte zum zweiten Male aus deinem Munde hXren."
Langsam erhob sich der Brahmane, Siddhartha stand stumm mit gekreuzten
Armen.
"Worauf wartest du?" fragte der Vater.
Sprach Siddhartha: "Du weiXt es."
Unwillig ging der Vater aus der Kammer, unwillig suchte er sein Lager
auf und legte sich nieder.
Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der
Brahmane auf, tat Schritte hin und her, trat aus dem Hause. Durch das kleine
Fenster der Kammer blickte er hinein, da sah er Siddhartha stehen, mit
gekreuzten Armen, unverrXckt. Bleich schimmerte sein helles Obergewand.
Unruhe im Herzen, kehrte der Vater zu seinem Lager zurXck.
Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der
Brahmane von neuem auf, tat Schritte hin und her, trat vor das Haus, sah den
Mond aufgegangen. Durch das Fenster der Kammer blickte er hinein, da stand
Siddhartha, unverrXckt, mit gekreuzten Armen, an seinen bloXen Schienbeinen
spiegelte das Mondlicht. Besorgnis im Herzen, suchte der Vater sein Lager
auf.
Und er kam wieder nach einer Stunde, und kam wieder nach zweien
Stunden, blickte durchs kleine Fenster, sah Siddhartha stehen, im Mond, im
Sternenschein, in der Finsternis. Und kam wieder von Stunde zu Stunde,
schweigend, blickte in die Kammer, sah den unverrXckt Stehenden, fXllte sein
Herz mit Zorn, fXllte sein Herz mit Unruhe, fXllte sein Herz mit Zagen,
fXllte es mit Leid.
Und in der letzten Nachtstunde, ehe der Tag begann, kehrte er wieder,
trat in die Kammer, sah den JXngling stehen, der ihm groX und wie fremd
erschien.
"Siddhartha," sprach er, "worauf wartest du?"
"Du weiXt es."
"Wirst du immer so stehen und warten, bis es Tag wird, Mittag wird,
Abend wird?"
"Ich werde stehen und warten."
"Du wirst mXde werden, Siddhartha."
"Ich werde mXde werden."
"Du wirst einschlafen, Siddhartha."
"Ich werde nicht einschlafen."
"Du wirst sterben, Siddhartha."
"Ich werde sterben."
"Und willst lieber sterben, als deinem Vater gehorchen?"
"Siddhartha hat immer seinem Vater gehorcht."
"So willst du dein Vorhaben aufgeben?"
"Siddhartha wird tun, was sein Vater ihm sagen wird."
Der erste Schein des Tages fiel in die Kammer. Der Brahmane sah, dass
Siddhartha in den Knien leise zitterte. In Siddharthas Gesicht sah er kein
Zittern, fernhin blickten die Augen. Da erkannte der Vater, dass Siddhartha
schon jetzt nicht mehr bei ihm und in der Heimat weile, dass er ihn schon
jetzt verlassen habe.
Der Vater berXhrte Siddharthas Schulter.
"Du wirst," sprach er, "in den Wald gehen und ein Samana sein. Hast du
Seligkeit gefunden im Walde, so komm und lehre mich Seligkeit. Findest du
EnttXuschung, dann kehre wieder und lass uns wieder gemeinsam den GXttern
opfern. Nun gehe und kXsse deine Mutter, sage ihr, wohin du gehst. FXr mich
aber ist es Zeit, an den Fluss zu gehen und die erste Waschung vorzunehmen."
Er nahm die Hand von der Schulter seines Sohnes und ging hinaus.
Siddhartha schwankte zur Seite, als er zu gehen versuchte. Er bezwang seine
Glieder, verneigte sich vor seinem Vater und ging zur Mutter, um zu tun, wie
der Vater gesagt hatte.
Als er im ersten Tageslicht langsam auf erstarrten Beinen die noch
stille Stadt verlieX, erhob sich bei der letzten HXtte ein Schatten, der
dort gekauert war, und schloss sich an den Pilgernden an X Govinda.
"Du bist gekommen", sagte Siddhartha und lXchelte.
"Ich bin gekommen," sagte Govinda.
BEI DEN SAMANAS
Am Abend dieses Tages holten sie die Asketen ein, die dXrren Samanas,
und boten ihnen Begleitschaft und Gehorsam an. Sie wurden angenommen.
Siddhartha schenkte sein Gewand einem armen Brahmanen auf der StraXe.
Er trug nur noch die Schambinde und den erdfarbenen ungenXhten Xberwurf. Er
aX nur einmal am Tage, und niemals Gekochtes. Er fastete fXnfzehn Tage. Er
fastete acht und zwanzig Tage. Das Fleisch schwand ihm von Schenkeln und
Wangen. HeiXe TrXume flackerten aus seinen vergrXerten Augen, an seinen
dorrenden Fingern wuchsen lang die NXgel und am Kinn der trockne, struppige
Bart. Eisig wurde sein Blick, wenn er Weibern begegnete; sein Mund zuckte
Verachtung, wenn er durch eine Stadt mit schXn gekleideten Menschen ging. Er
sah HXndler handeln, FXrsten zur Jagd gehen, Leidtragende ihre Toten
beweinen, Huren sich anbieten, Xrzte sich um Kranke mXhen, Priester den Tag
fXr die Aussaat bestimmen, Liebende lieben, MXtter ihre Kinder stillen X und
alles war nicht den Blick seines Auges wert, alles log, alles stank, alles
stank nach LXge, alles tXuschte Sinn und GlXck und SchXnheit vor, und alles
war uneingestandene Verwesung. Bitter schmeckte die Welt. Qual war das
Leben.
Ein Ziel stand vor Siddhartha, ein einziges: leer werden, leer von
Durst, leer von Wunsch, leer von Traum, leer von Freude und Leid. Von sich
selbst wegsterben, nicht mehr Ich sein, entleerten Herzens Ruhe zu finden,
im entselbsteten Denken dem Wunder offen zu stehen, das war sein Ziel. Wenn
alles Ich Xberwunden und gestorben war, wenn jede Sucht und jeder Trieb im
Herzen schwieg, dann musste das Letzte erwachen, das Innerste im Wesen, das
nicht mehr Ich ist, das groXe Geheimnis.
Schweigend stand Siddhartha im senkrechten Sonnenbrand, glXhend vor
Schmerz, glXhend vor Durst, und stand, bis er nicht Schmerz noch Durst mehr
fXhlte. Schweigend stand er in der Regenzeit, aus seinem Haare troff das
Wasser Xber frierende Schultern, Xber frierende HXften und Beine, und der
BXer stand, bis Schultern und Beine nicht mehr froren, bis sie schwiegen,
bis sie still waren. Schweigend kauerte er im Dorngerank, aus der brennenden
Haut tropfte das Blut, aus SchwXren der Eiter, und Siddhartha verweilte
starr, verweilte regungslos, bis kein Blut mehr floss, bis nichts mehr
stach, bis nichts mehr brannte.
Siddhartha saX aufrecht und lernte den Atem sparen, lernte mit wenig
Atem auskommen, lernte den Atem abzustellen. Er lernte, mit dem Atem
beginnend, seinen Herzschlag beruhigen, lernte die SchlXge seines Herzens
vermindern, bis es wenige und fast keine mehr waren.
Vom Xltesten der Samanas belehrt, Xbte Siddhartha Entselbstung, Xbte
Versenkung, nach neuen Samanaregeln. Ein Reiher flog Xberm Bambuswald X und
Siddhartha nahm den Reiher in seine Seele auf, flog Xber Wald und Gebirg,
war Reiher, fraX Fische, hungerte Reiherhunger, sprach ReihergekrXchz, starb
Reihertod. Ein toter Schakal lag am Sandufer, und Siddharthas Seele
schlXpfte in den Leichnam hinein, war toter Schakal, lag am Strande, blXhte
sich, stank, verweste, ward von HyXnen zerstXckt, ward von Geiern enthXutet,
ward Gerippe, ward Staub, wehte ins Gefild. Und Siddharthas Seele kehrte
zurXck, war gestorben, war verwest, war zerstXubt, hatte den trXben Rausch
des Kreislaufs geschmeckt, harrte in neuem Durst wie ein JXger auf die
LXcke, wo dem Kreislauf zu entrinnen wXre, wo das Ende der Ursachen, wo
leidlose Ewigkeit begXnne. Er tXtete seine Sinne, er tXtete seine
Erinnerung, er schlXpfte aus seinem Ich in tausend fremde Gestaltungen, war
Tier, war Aas, war Stein, war Holz, war Wasser, und fand sich jedesmal
erwachend wieder, Sonne schien oder Mond, war wieder Ich, schwang im
Kreislauf, fXhlte Durst, Xberwand den Durst, fXhlte neuen Durst.
Vieles lernte Siddhartha bei den Samanas, viele Wege vom Ich hinweg
lernte er gehen. Er ging den Weg der Entselbstung durch den Schmerz, durch
das freiwillige Erleiden und Xberwinden des Schmerzes, des Hungers, des
Dursts, der MXdigkeit. Er ging den Weg der Entselbstung durch Meditation,
durch das Leerdenken des Sinnes von allen Vorstellungen. Diese und andere
Wege lernte er gehen, tausendmal verlieX er sein Ich, stundenlang und
tagelang verharrte er im Nicht-Ich. Aber ob auch die Wege vom Ich
hinwegfXhrten, ihr Ende fXhrte doch immer zum Ich zurXck. Ob Siddhartha
tausendmal dem Ich entfloh, im Nichts verweilte, im Tier, im Stein
verweilte, unvermeidlich war die RXckkehr, unentrinnbar die Stunde, da er
sich wiederfand, im Sonnenschein oder im Mondschein, im Schatten oder im
Regen, und wieder Ich und Siddhartha war, und wieder die Qual des
auferlegten Kreislaufes empfand.
Neben ihm lebte Govinda, sein Schatten, ging dieselben Wege, unterzog
sich denselben BemXhungen. Selten sprachen sie anderes miteinander, als der
Dienst und die Xbungen erforderten. Zuweilen gingen sie zu zweien durch die
DXrfer, um Nahrung fXr sich und ihre Lehrer zu betteln.
"Wie denkst du, Govinda," sprach einst auf diesem Bettelgang
Siddhartha, "wie denkst du, sind wir weiter gekommen? Haben wir Ziele
erreicht?"
Antwortete Govinda: "Wir haben gelernt, und wir lernen weiter. Du wirst
ein groXer Samana sein, Siddhartha. Schnell hast du jede Xbung gelernt, oft
haben die alten Samanas dich bewundert. Du wirst einst ein Heiliger sein, o
Siddhartha."
Sprach Siddhartha: "Mir will es nicht so erscheinen, mein Freund. Was
ich bis zu diesem Tage bei den Samanas gelernt habe, das, o Govinda, hXtte
ich schneller und einfacher lernen kXnnen. In jeder Kneipe eines
Hurenviertels, mein Freund, unter den Fuhrleuten und WXrfelspielern hXtte
ich es lernen kXnnen."
Sprach Govinda: "Siddhartha macht sich einen Scherz mit mir. Wie
hXttest du Versenkung, wie hXttest du Anhalten des Atems, wie hXttest du
Unempfindsamkeit gegen Hunger und Schmerz dort bei jenen Elenden lernen
sollen?"
Und Siddhartha sagte leise, als sprXche er zu sich selber: "Was ist
Versenkung? Was ist Verlassen des KXrpers? Was ist Fasten? Was ist
Anhaltendes Atems? Es ist Flucht vor dem Ich, es ist ein kurzes Entrinnen
aus der Qual des Ichseins, es ist eine kurze BetXubung gegen den Schmerz und
die Unsinnigkeit des Lebens. Dieselbe Flucht, dieselbe kurze BetXubung
findet der Ochsentreiber in der Herberge, wenn er einige Schalen Reiswein
trinkt oder gegorene Kokosmilch. Dann fXhlt er sein Selbst nicht mehr, dann
fXhlt er die Schmerzen des Lebens nicht mehr, dann findet er kurze
BetXubung. Er findet, Xber seiner Schale mit Reiswein eingeschlummert,
dasselbe, was Siddhartha und Govinda finden, wenn sie in langen Xbungen aus
ihrem KXrper entweichen, im Nicht-Ich verweilen. So ist es, o Govinda."
Sprach Govinda: "So sagst du, o Freund, und weiXt doch, dass Siddhartha
kein Ochsentreiber ist und ein Samana kein Trunkenbold. Wohl findet der
Trinker BetXubung, wohl findet er kurze Flucht und Rast, aber er kehrt
zurXck aus dem Wahn und, findet alles beim alten, ist nicht weiser geworden,
hat nicht Erkenntnis gesammelt, X ist nicht um Stufen hXher gestiegen."
Und Siddhartha sprach mit LXcheln: "Ich weiX es nicht, ich bin nie ein
Trinker gewesen. Aber dass ich, Siddhartha, in meinen Xbungen und
Versenkungen nur kurze BetXubung finde und ebenso weit von der Weisheit, von
der ErlXsung entfernt bin wie als Kind im Mutterleibe, das weiX ich, o
Govinda, das weiX ich."
Und wieder ein anderes Mal, da Siddhartha mit Govinda den Wald verlieX,
um im Dorfe etwas Nahrung fXr ihre BrXder und Lehrer zu betteln, begann
Siddhartha zu sprechen und sagte: "Wie nun, o Govinda, sind wir wohl auf dem
rechten Wege? NXhern wir uns wohl der Erkenntnis? NXhern wir uns wohl der
ErlXsung? Oder gehen wir nicht vielleicht im Kreise X wir, die wir doch dem
Kreislauf zu entrinnen dachten?"
Sprach Govinda: "Viel haben wir gelernt, Siddhartha, viel bleibt noch
zu lernen. Wir gehen nicht im Kreise, wir gehen nach oben, der Kreis ist
eine Spirale, manche Stufe sind wir schon gestiegen."
Antwortete Siddhartha: "Wie alt wohl, meinst du, ist unser Xltester
Samana, unser ehrwXrdiger Lehrer?"
Sprach Govinda: "Vielleicht sechzig Jahre mag unser Xltester zXhlen."
Und Siddhartha: "Sechzig Jahre ist er alt geworden und hat Nirwana
nicht erreicht. Er wird siebzig werden und achtzig, und du und ich, wir
werden ebenso alt werden und werden uns Xben, und werden fasten, und werden
meditieren. Aber Nirwana werden wir nicht erreichen, er nicht, wir nicht. O
Govinda, ich glaube, von allen Samanas, die es gibt, wird vielleicht nicht
einer, nicht einer Nirwana erreichen. Wir finden TrXstungen, wir finden
BetXubungen, wir lernen Kunstfertigkeiten, mit denen wir uns tXuschen. Das
Wesentliche aber, den Weg der Wege finden wir nicht."
"MXgest du doch," sprach Govinda, "nicht so erschreckende Worte
aussprechen, Siddhartha! Wie sollte denn unter so vielen gelehrten MXnnern,
unter so viel Brahmanen, unter so vielen strengen und ehrwXrdigen Samanas,
unter so viel suchenden, so viel innig beflissenen, so viel heiligen MXnnern
keiner den Weg der Wege finden?"
Siddhartha aber sagte mit einer Stimme, welche so viel Trauer wie Spott
enthielt, mit einer leisen, einer etwas traurigen, einer etwas spXttischen
Stimme: "Bald, Govinda, wird dein Freund diesen Pfad der Samanas verlassen,
den er so lang mit dir gegangen ist. Ich leide Durst, o Govinda, und auf
diesem langen Samanawege ist mein Durst um nichts kleiner geworden. Immer
habe ich nach Erkenntnis gedXrstet, immer bin ich voll von Fragen gewesen.
Ich habe die Brahmanen befragt, Jahr um Jahr, und habe die heiligen Vedas
befragt, Jahr um Jahr, und habe die frommen Samanas befragt, Jahr um Jahr.
Vielleicht, o Govinda, wXre es ebenso gut, wXre es ebenso klug und ebenso
heilsam gewesen, wenn ich den Nashornvogel oder den Schimpansen befragt
hXtte. Lange Zeit habe ich gebraucht und bin noch nicht damit zu Ende, um
dies zu lernen, o Govinda: dass man nichts lernen kann! Es gibt, so glaube
ich, in der Tat jenes Ding nicht, das wir `Lernen' nennen. Es gibt, o mein
Freund, nur ein Wissen, das ist Xberall, das ist Atman, das ist in mir und
in dir und in jedem Wesen. Und so beginne ich zu glauben: dies Wissen hat
keinen Xrgeren Feind als das Wissenwollen, als das Lernen."
Da blieb Govinda auf dem Wege stehen, erhob die HXnde und sprach:
"MXgest du, Siddhartha, deinen Freund doch nicht mit solchen Reden
beXngstigen! Wahrlich, Angst erwecken deine Worte in meinem Herzen. Und
denke doch nur: wo bliebe die Heiligkeit der Gebete, wo bliebe die
EhrwXrdigkeit des Brahmanenstandes, wo die Heiligkeit der Samanas, wenn es
so wXre wie du sagst, wenn es kein Lernen gXbe?! Was, o Siddhartha, was
wXrde dann aus alledem werden, was auf Erden heilig, was wertvoll, was
ehrwXrdig ist?!"
Und Govinda murmelte einen Vers vor sich hin, einen Vers aus einer
Upanishad:
"Wer nachsinnend, gelXuterten Geistes, in Atman sich versenkt,
Unaussprechlich durch Worte ist seines Herzens Seligkeit."
Siddhartha aber schwieg. Er dachte der Worte, welche Govinda zu ihm
gesagt hatte, und dachte die Worte bis an ihr Ende.
Ja, dachte er, gesenkten Hauptes stehend, was bliebe noch Xbrig von
allem, was uns heilig schien? Was bleibt? Was bewXhrt sich? Und er
schXttelte den Kopf.
Einstmals, als die beiden JXnglinge gegen drei Jahre bei den Samanas
gelebt und ihre Xbungen geteilt hatten, da erreichte sie auf mancherlei
Wegen und Umwegen eine Kunde, ein GerXcht, eine Sage: Einer sei erschienen,
Gotama genannt, der Erhabene, der Buddha, der habe in sich das Leid der Welt
Xberwunden und das Rad der Wiedergeburten zum Stehen gebracht. Lehrend ziehe
er, von JXngern umgeben, durch das Land, besitzlos, heimatlos, weiblos, im
gelben Mantel eines Asketen, aber mit heiterer Stirn, ein Seliger, und
Brahmanen und FXrsten beugten sich vor ihm und wXrden seine SchXler.
Diese Sage, dies GerXcht, dies MXrchen klang auf, duftete empor, hier
und dort, in den StXdten sprachen die Brahmanen davon, im Wald die Samanas,
immer wieder drang der Name Gotamas, des Buddha, zu den Ohren der JXnglinge,
im Guten und im BXsen, in Lobpreisung und in SchmXhung.
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